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Definiere Einbindung in Entscheidungen

16. Juli 2025

Gedanken zum Wiener Koalitionsprogramm – Menschen mit Behinderungen

Aufschwung für die Behindertenpolitik

Im 191 Seiten umfassenden Wiener Regierungsprogramm der „Aufschwungskoalition“ finden sich zahlreiche Passagen die Menschen mit Behinderungen betreffen. Von Bildung über Tourismus bis hin zu Wiener Linien, Digitalisierung, Mobilität und Sport.
Auch im Kapitel 6. „Mensch im Mittelpunkt“ im Unterkapitel 6.2. „Soziales Wien“ finden sich interessante Aussagen zur zukünftigen Behindertenpolitik in der Stadt.

Für die politisch Verantwortlichen spielen Soziale Dienstleistungen eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden und die Lebensqualität in unserer Stadt, weil sie den Zusammenhalt fördern, die Teilhabe aller BürgerInnen unterstützen und dazu beitragen, dass niemand zurückgelassen wird.
Klingt gut!

Und weiter im Abkommen bekennt sich die Wiener Stadtregierung zur Vision einer inklusiven Gesellschaft, Chancengleichheit, gesellschaftlicher Teilhabe, Abbau von Barrieren, so dass niemand behindert wird und der konsequenten Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Mutig!

Und dann wird es noch konkreter:
Nicht DAS, aber immerhin EIN zentrales Prinzip lautet: „Nichts über uns, ohne uns“. Das ist Politik der Mitbestimmung und aktiven Mitgestaltung von Menschen mit Behinderungen.
Gut so!

In der Folge werden im Regierungsprogramm auf Kernprinzipien wie soziale Absicherung, Mitbestimmung, selbstbestimmtes Leben, inklusive Beschäftigungsmodelle angeführt und auf eine sozial ausgewogene Wohn- und Bildungspolitik verwiesen.

Mehr als geduldiges Papier?

Und dann beginnt man als gelernter Wiener erstmals nachdenklich zu werden, wenn man weiterliest, dass diese Aufgaben sowohl Landes- als auch Bundeskompetenzen umfassen und die Stadt Wien die Umsetzung dieser Maßnahmen auf nationaler Ebene unterstützt und eine Akkordierung zur Zielerreichung mit den jeweiligen Strategien auf Bundesebene anstrebt.

Das ist grundsätzlich mehr als löblich, wenn sich die Stadt Wien dafür einsetzt, dass Menschen mit Behinderungen in ganz Österreich einen einheitlichen Zugang zu Rechten und Leistungen haben.

Aber wie jetzt? Gelten oben benannte Bekenntnisse in bestimmten Bereichen nur dann, wenn eine angestrebte Akkordierung mit dem Bund erfolgreich ist oder auch unabhängig davon?

Grundsätzlich liegt die Umsetzung der meisten Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen in der Kompetenz der Länder. Was hält Wien davon ab ihrem Leitsatz der „Menschenrechtsstadt“ gerecht zu werden und als Vorreiter in Bezug auf deren Umsetzung aktiv zu werden? Zum Beispiel in Bezug auf die Ausweitung der Persönlichen Assistenz

Noch eine Runde reden?

Nach mehreren „Runden“ sogenannter partizipativer Prozesse (UN-Gleichheit für alle, Wiener Wege zur Inklusion, Inklusives Wien 2030) liegen erforderliche Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention längst am Tisch. Die Umsetzung dieser Ergebnisse wäre konsequente Politik einer aktiven Mitbestimmung und Mitgestaltung von Menschen mit Behinderungen.

Im Regierungsprogramm schreibt die Koalition, dass sie von der Entwicklung des FSW-KundInnenrates beeindruckt ist und daher vereinbart wird diesen auszubauen und zu stärken. Zurecht wird auch vereinbart die Weiterführung der Gemeinderätlichen Kommission für Inklusion und Barrierefreiheit zu unterstützen.

Beeindruckend ist aber genauso das Engagement und die Arbeit der Interessensvertretung von Menschen mit Behinderungen, der Wiener Monitoringstelle, vom Selbstvertretungszentrum, von BIZEPS-Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, von SelbstvertreterInnen in Betreuungsorganisationen, von vielen sonstigen Aktivistinnen und den Betreuungsorganisationen.

Allesamt Gruppen von Menschen die sich aktiv in partizipative Prozesse eingebracht und unzählige Vorschläge zu einer rechtsbasierten Behindertenpolitik gemacht haben. Die Einbindung endete in der Regel bei der Information über und selten in der Mitgestaltung der Entscheidungen.
Geht es, wie vielfach argumentiert, bei der Umsetzung immer nur um Kosten oder mögliche Steigerungen von Kosten bei bestimmten Maßnahmen, oder geht es mitunter nicht auch um die Aufrechterhaltung paternalistischer Strukturen und Mutlosigkeit für Veränderungen?

Anspruch und Wirklichkeit

Geht es um Werte und das Bekenntnis zu echter Chancengleichheit, Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe oder vielmehr um die Frage der Finanzierbarkeit von rechtlichen Vorgaben?
Wir wissen die budgetäre Situation ist angespannt und Ausgaben müssen überlegt sein. Aber wie glaubwürdig sind VertreterInnen von Parteien die sich zu hohen sozialen Standards und menschenrechtsbasierter Politik bekennen, um an deren Finanzierung zu scheitern?
Dann wäre es gleich besser zu sagen:
„Wir bekennen uns zur Vision einer inklusiven Gesellschaft und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, vorbehaltlich der Finanzierungsmöglichkeiten“.

Das wäre nicht nur ehrlich, sondern entspricht vielfach den Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen, aber auch von Betreuungsorganisationen.

 

Koalitionsprogramm am Prüfstand

Im aktuellen Wiener Regierungsprogramm finden sich viele positive Aussagen zu einer aktiven, fortschrittlichen Behindertenpolitik, leider oftmals im Konjunktiv (von Sollen und Wollen) gehalten. Aber das kann sich ja mit etwas Mut ändern.

Erfreulicherweise liest man unter „Partizipation und Empowerment stärken“, dass Menschen mit Behinderungen aktiv in politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen eingebunden werden MÜSSEN.

Im obersten politischen Gremium, dem Wiener Gemeinderat, wird das so nicht passieren. Menschen mit Behinderungen spielten in den Wahlvorschlägen der Parteien keine Rolle.

Umso mehr gilt es darauf zu schauen wer, wie, wann aktiv in politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen eingebunden wird.
Wie ernst werden Vorschläge zur Umsetzung der im Regierungsprogramm der „Aufschwungskoalition“ genannten Visionen genommen oder bleibt es bei Absichtserklärungen?

Und nicht zuletzt wie wird seitens der Stadt Wien “aktives Einbinden in Entscheidungen“ definiert und umgesetzt.

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