Aktive Mitgestaltung? So ist das nix!
Im Juli 2025 hat die IVS Wien auf ihrer Webseite einen Beitrag veröffentlicht der sich mit dem Wiener Regierungsprogramm der „Aufschwungskoalition“, in dem viele positive Aussagen zu einer aktiven, fortschrittlichen Behindertenpolitik festgeschrieben sind, auseinandergesetzt. Schon damals haben wir den Inhalt des Regierungsprogramms einerseits freudig zur Kenntnis genommen und andererseits unsere Skepsis in der Umsetzung angebracht.
Nichts über uns, ohne uns?
Wörtlich wurde im Wiener Regierungsprogramm unter „Partizipation und Empowerment stärken“, festgehalten dass Menschen mit Behinderungen aktiv in politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen eingebunden werden MÜSSEN.
Wenige Monate später können wir feststellen, dass das zentrale Prinzip „Nichts über uns, ohne uns“, die Politik der Mitbestimmung und aktiven Mitgestaltung von Menschen mit Behinderungen, wie es im Koalitionsprogramm groß angekündigt wird, nicht mehr als ein Lippenbekenntnis ist.
Novellierung mit Folgen
Was sonst ist der Initialantrag der Regierungsparteien zur Wiener Mindestsicherung, als ein Eingriff in die wirtschaftliche Lebensrealität vieler Menschen mit Behinderungen mit möglichen gesellschaftlichen Folgen?
Wenn in der Mindestsicherung 25% statt wie bisher 13,5% Wohnkosten enthalten sind, was in der Folge eine Kürzung der Mietbeihilfe bedeutet.
Wenn die Sonderzahlungen, die bisher zweimal pro Jahr ausbezahlt wurden, um die Hälfte gekürzt werden.
Wenn subsidiär Schutzberechtigte Menschen mit Behinderungen aus einigen Leistungen der Wohnungslosenhilfe und Behindertenhilfe rausfallen werden bzw. zukünftig keinen Zugang mehr haben.
Wenn vielen Menschen mit Behinderungen finanzielle Einbußen von mehr als € 2.500,- jährlich drohen und das System teilbetreutes Wohnen immer brüchiger wird, weil es sich die Zielgruppen immer weniger leisten können.
Mit der Ausnahme, dass Wohngemeinschaften im teilbetreuten Wohnen nicht als Bedarfsgemeinschaften zu sehen sind, enthält die Novellierung der Wiener Mindestsicherung nur Nachteile für Menschen mit Behinderungen.
Einbindung? Fehlanzeige!
Zu welchem Zeitpunkt erfolgte die aktive Einbindung Betroffener?
Im Lichte der überfallsartig eingebrachten Novelle zur Wiener Mindestsicherung und der Gerüchte über Einsparungen bei Unterstützungsleistungen darf man davon ausgehen, dass eine Einbindung der betroffenen Menschen und kritisches Hinterfragen nicht angedacht oder gar erwünscht ist.
Gerade angesichts der prekären Budgetsituation und einer ständig drohenden Verschlechterung der Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen wäre es mehr als angebracht, dass politisch Verantwortliche ihr Regierungsprogramm ernst nehmen und die Betroffenen in maßgebliche Entscheidungen miteinbinden.
Am Scheideweg
Anstatt gemeinsam eine Strategie zu entwickeln wie menschenrechtskonforme Behindertenpolitik unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausschauen könnte verlieren sich Politik und Verwaltung in „quick wins“, streichen Projekte, kürzen Unterstützungen, denken über Verschärfungen bei Zugängen zu Leistungen nach, gängeln Organisationen mit immer fragwürdigeren Forderungen und verlieren eine nachhaltige Entwicklung immer mehr aus den Augen.
Nicht nur, dass sich zweifelhafte Entscheidungen konkret auf Lebensumstände von Menschen auswirken und gesetzliche Verpflichtungen unterlaufen werden, ist es demokratiepolitisch mehr als bedenklich, wenn relevante rechtliche Änderungen ohne jegliche Möglichkeit der Stellungnahme und Diskussionsmöglichkeit, wie im Falle der Wiener Mindestsicherung, durchgepeitscht werden.
Die IVS Wien fordert seit Jahren einen Dialog über eine zukünftige Behindertenhilfe. Bisher vergebens.
Wir werden weiterhin die Frage stellen: Was verstehen Verantwortliche der Stadt Wien unter Einbindung?
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